Eine empirische Studie am Beispiel „Ritueller Körperhaltungen“
Leitung der Studie
Sabine Rittner, wiss. Mitarbeiterin und Musikpsychotherapeutin und Dr.sc.hum. Dipl. Psych. Mag. Christina Hunger
Durchführung der Studie
2003 – 2005
Forschungsüberblick als Poster
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Die StudienteilnehmerInnen
An der Studie nahmen 19 TeilnehmerInnen (14 ♀, 5 ♂) der Selbsterfahrungsgruppe „Reisen in die andere Wirklichkeit“ (Leitung: Sabine Rittner) in Heidelberg teil. Die Zusammensetzung der Gruppe reichte von 6 Personen ohne Erfahrung in den Rituellen Körperhaltungen über 6 Personen mit einem mittleren Erfahrungsniveau bis hin zu 6 sehr erfahrene Personen, die sich schon seit mehr als fünf Jahren mit „Rituellen Körperhaltungen und ekstatischer Trance“ beschäftigen.
Die untersuchten Rituellen Körperhaltungen
Es wurden die Rituellen Körperhaltungen der „Bärenhaltung“, des „Olmekischen Prinzen“, des „Saami-Schamanen“ und der „Südmährischen Frau“ untersucht.
Die Forschungsmethoden
Als grundlegende Voraussetzung zu der Forschungsarbeit galt die umfassende Teilnahme der Forscherin Christina Hunger an der gesamten Selbsterfahrungsgruppe. So konnte sie die Trance in den ausgewählten Rituellen Körperhaltungen ganz unmittelbar erleben und war darüber hinaus auch in alle weiteren Prozesse der Gruppe direkt involviert.
In einem selbst entwickelten Fragebogen schätzten sich die TeilnehmerInnen u.a. hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit Rituellen Körperhaltungen ein. Sie erlaubten der Autorin, die Erzählberichte zu den Tranceerlebnissen in den Kreisgesprächen nach dem Ritual schriftlich festzuhalten. Nach Abschluss der Selbsterfahrungsgruppe stellten sich darüber hinaus 4 Neulinge und 4 in Rituellen Körperhaltungen sehr erfahrene Personen für spezifische Interviewfragen zur Verfügung.
Fragestellungen, Ergebnisse und Diskussionen
1. Fragestellung: „ERLEBNISSPEZIFITÄT“
In Anlehnung an die von Goodman (1986) formulierte Annahme, dass jede Rituelle Körperhaltung ein spezifisches Erlebnis ermöglicht, lautet die erste Fragestellung: Sind die Tranceerlebnisse der TeilnehmerInnen während einer Rituellen Körperhaltung so ähnlich, dass sie sich von anderen Tranceerlebnissen in anderen Rituellen Körperhaltungen deutlich unterscheiden?
Ergebnis
In ihren Erzählungen berichten die TeilnehmerInnen wiederholt, sich in der Trance stark körperlich gespürt und viele visionäre Erlebnisse erfahren zu haben. Der Tranceinhalt – was körperlich erlebt wurde bzw. wie die Vision war – unterscheidet sich jedoch – entgegen der Annahme von Goodman – von Person zu Person.
Ein Beispiel: Der Olmekische Prinz ermöglicht nach Goodman (1993) vielfältige Erlebnisse mit dem Element Wasser. Derartige Wahrnehmungen thematisieren jedoch nur drei der 19 StudienteilnehmerInnen. Und darüber hinaus werden Erlebnisse mit Wasser auch in den anderen Rituellen Körperhaltungen berichtet. Aus wissenschaftlich statistischer Sichtweise ist damit die Annahme spezifischer Tranceerlebnisse Ritueller Körperhaltungen abzulehnen.
Diskussion
Meiner Ansicht nach muss jedoch beachtet werden, dass in der vorliegenden Studie die spezifischen Erlebnisinhalte der Trance nicht direkt erfragt wurden. Vielmehr dienten die spontanen Erzählberichte der GruppenteilnehmerInnen im Anschluss an die Rituale der Hinterfragung der Erlebnisspezifität. Insofern gehe ich davon aus, dass sich die Häufigkeit der Erlebniselemente bei direkter Erfragung erhöhen würde. Aussagen zur Ablehnung bzw. Beibehaltung der Annahme der Erlebnisspezifität könnten dann eine zutreffendere Einschätzung geben, als diese allein aufgrund statistischer Werte möglich ist.
2. Fragestellung: „DETERMINANTEN“ und „KONSEQUENZEN“
Im zweiten Teil der Studie interessieren Fragen zu a) den Determinanten (Einflussgrößen), die auf die Art und Weise der erlebten Trance wirken und b) den Konsequenzen der Tranceerlebnisse, die möglicherweise zu Veränderungen im Umgang mit Anforderungen im alltäglichen Leben führen.
Ergebnis
Die Ergebnisse sind so vielfältig, dass sich im Folgenden ihre Darstellung auf 8 ausgewählte, besonders interessante Aspekte konzentriert.
Die TeilnehmerInnen berichten, in ihren Tranceerlebnissen der Rituellen Körperhaltungen Antworten auf personale und transpersonale Fragestellungen zu finden. Sie schildern einerseits ein zunehmend besseres Verstehen ihrer eigenen persönlichen Prozesse als auch andererseits eine erhöhte Akzeptanz gegenüber anderen Personen. Im Alltag nehmen die GruppenteilnehmerInnen ihre körperlichen Prozesse, z.B. eine verkrampfte Körperhaltung nach zu langem Sitzen, bewusster wahr. Auch werden ihnen persönliche Kindheitsereignisse verständlicher. Sie schildern einen reflektierten Umgang mit Fragen an die eigene Biografie. TeilnehmerInnen aus sozial- und psychotherapeutischen Berufen beschreiben einen anerkennenderen Umgang gegenüber zunächst befremdlich erscheinenden Erlebnissen ihrer Klienten und Patienten ausgebildet zu haben. Sie berichten, dass sich ihr Verständnishorizont z.B. bezüglich Psychose nahen Erfahrungen seitens ihrer Klienten und Patienten, erweitert hat.
Schwierigkeiten formulieren die TeilnehmerInnen hinsichtlich der Verbalisierung ihrer Tranceerlebnisse. Auch teilen sie diese außerhalb der Kreisgespräche kaum anderen Personen mit.
Diskussion
Das Fazit dieser Ergebnisse sehe ich in der Eignung Ritueller Körperhaltungen als Möglichkeit einer spirituellen Körper- und Psychotherapie.
3. Fragestellung: „ERFAHRUNGSUNTERSCHIEDE“
Im dritten Teil hinterfragt die Studie, wie sich das unterschiedliche Erfahrungsniveau der TeilnehmerInnen in ihren Tranceerlebnissen wieder spiegelt: Erleben Neulinge im Vergleich zu erfahrenen Personen die Trance Ritueller Körperhaltungen anders?
Ergebnis
GruppenteilnehmerInnen ohne Vorerfahrung in Rituellen Körperhaltungen schildern in ihren Trancen vor allem körperliche Prozesse wahrgenommen zu haben. Nicht selten wurden diese von schmerzhaften Empfindungen begleitet. Erfahrene Personen berichten dagegen häufiger von visionären Tranceerfahrungen. Mit zunehmender Tranceerfahrung beziehen auch die Neulinge visionäre Erlebnisse in ihre Beschreibungen ein und allein körperliche Wahrnehmungen werden geringer.
Diskussion
Die Besonderheiten in den Erzählungen von Neulingen und in Rituellen Körperhaltungen erfahrenen Personen erklären sich für mich im Rahmen der grundlegenden Annahmen der Kognitionspsychologie. TeilnehmerInnen ohne vorherige Erfahrungen verfügen über kein bzw. ein nur geringes „Trance-Wissen“ bzw. „Trance-Schema“. Sie suchen nach vergleichbaren Situationen, um sich ihre Tranceerlebnisse erklären zu können (assimilieren), wobei ihnen die Möglichkeiten der ekstatischen Trance und visionären Erfahrung noch wenig bekannt sind. Gegenteilig zu den Neulingen wissen erfahrene Personen ihre Tranceerlebnisse sehr gut einzuordnen und bilden darüber hinaus neue kognitive Strukturen aus (akkomodieren).
Ein Beispiel: Eine neue Teilnehmerin berichtet über so furchtbare Schulterschmerzen während der Trance, dass sie sich gezwungen sah, die Trance abzubrechen. Eine erfahrene Teilnehmerin schildert ähnliche Schmerzen. In ihrer weiteren Erzählung ordnet sie diese jedoch den Krallen eines Adlers zu, der sich auf ihre Schultern gesetzt hatte, um sie in der weiteren Trance im Flug mit in einen anderen Teil des schamanischen Weltenbaumes zu nehmen. Bei der Rückkehr aus der Trance stellt sie fest, dass sich ihre Schulterschmerzen aufgelöst haben.
Literatur
Goodman, F. D. (1986)
Body posture and the religious altered state of consciousness: An experimental investigation
Journal of Humanistic Psychology, 26 (3), 81-118.
Goodman, F. D. (1993)
Wo die Geister auf den Winden reiten: Trancereisen und ekstatische Erlebnisse
Freiburg: Hermann Bauer.
Projektbezogene Publikationen
Hunger, Christina and Rittner, Sabine (2015)
Ritual Body Postures: Empirical Study of a Neurophysiological Unique Altered State of Consciousness
In: The Humanistic Psychologist, 43:4, p. 371-394. UK: Taler and Francis.
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Rittner, Sabine und Hunger, Christina (2013)
Blute in die Erde – Der ritualisierte Einsatz ekstatischer Trancezustände in der Psychotherapie – Forschung und Praxis
In: Passie, Torsten (Hg.): Ekstasen: Kontexte – Formen – Wirkungen. Bibliotheca Academica.
Würzburg: Ergon Verlag. S. 311 – 325.
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Hunger, Christina (2005)
Trance: Determinanten, Inhalte und Konsequenzen. Eine empirische Studie am Beispiel Ritueller Körperhaltungen
Diplomarbeit Psychologie, Universität Landau.